@ Ralf:
Tut mir leid, wenn ich mich für dich nicht klar genug ausgedrückt habe, aber ich habe echt Schwierigkeiten damit, das, was ich fühle und denke, zu beschreiben.
Eine Beschreibung von einem Zwangsgedanken? Gut, ich versuche es einmal.
Beispielsweise kommt mir mitten im Tagesgeschehen der Gedanke, dass mich ein Bekannter, den ich sehr vermisse, morgen anrufen oder mich gar treffen wollen könnte. Eigentlich ein erfreulicher Gedanke, doch gleich darauf beginnt meine Angst, indem ich mich frage, ob ich es überhaupt zeitlich hinbekäme, mit ihm zu telefonieren oder ihn zu treffen. Gerade weil ich unbedingt mit ihm Kontakt will, habe ich umso größere Angst, es nicht zu können. Im ersten Schritt beginne ich mir dann zu sagen, was ich morgen von wann bis wann sicher vorhabe, z.B. Schule. Ich überlege, was ich in der Schule mache, was für einzelne Fächer ich habe und was wir in diesen konkret durchnehmen und morgen tun könnten. Ich versuche mir die Stunden richtig vorzustellen, sehe vor meinem inneren Auge die Gesichter aller Mitschüler und Lehrer, höre Zitate oder noch nie gesagte, aber doch mögliche Sätze von den Betroffenen. Ich versuche mir weiterhin vorzustellen, was für Hausaufgaben es in den einzelnen Stunden geben könnte. Dazu habe ich spezielle Ideen, die ich mir genau überlege. Z.B. wäre es eine von vielen Möglichkeiten, in Deutsch eine Interpretation aufzubekommen, somit überlege ich mir genau, was ich darin schreiben kann, plane und strukturiere schon im Vorhinein den Aufsatz. In Mathematik überlege ich mir schon mögliche, konkrete Aufgaben mit Zahlenbeispielen. Und das für jedes Fach am Tag. Ich denke mir aus, wie, mit welcher Einstellung und welchen Gefühlen ich die Aufgaben machen werde, was für Gefühle ich in den Stunden haben werde und natürlich, wie viel Zeit ich für die Aufgaben unter bestimmten Voraussetzungen haben werde. Ich rechne aus, wie lange ich höchstens jemals für jedes Fach gebraucht habe, wie lange durchschnittlich, wie die Chancen stehen, dass es wenig aufgibt, überlege, wie ich effizienter arbeiten könnte und bekomme langsam Panik, weil mir durch das genaue Aufzählen von allem erst klar wird, wie viel das alles ist und das fördert natürlich das Gefühl, überfordert zu sein. Ich überlege dann, wann ich wie viel Zeit für die Aufgaben habe, rechne jede Minute ein, die kleine Pause, sogar die Zeit im Bus. Dann kommen mir Gedanken, warum ich diese wichtigen Zeiten, die kleine Pause z.B. doch nicht haben werde, wenn mich vielleicht ein Mitschüler anspricht oder ich den Klassensaal wechseln muss und somit nicht zum arbeiten komme. Je mehr Zeit wegfällt, desto mehr fühle ich mich unter Druck. Ich mache mir Angstvorstellungen, warum mir wichtige Zeiten wegfallen könnten und entwickle Strategien, um genau das zu verhindern. So viel Aufwand für ein paar Minuten, aber in dem Moment kommt mir jede Minute kostbar vor und ich habe Angst, dass mich eine Minute alles kosten könnte. An dieser Stelle versuche ich mir klarzumachen, dass ich mir nur selbst Angst mache, indem ich mir das Schlimmste vorstelle. Also beginne ich von vorne, dieses Mal will ich den Tag in Gedanken noch früher erfassen und strukturieren. Ich beginne in Gedanken beim Aufstehen, überlege mir in jedem Detail plus Zeitangabe alles was ich tue, bis ich überhaupt erst einmal in der Schule bin. Obwohl das, was so früh passiert noch gar keine Auswirkungen auf ein Treffen am Abend haben kann und auch nicht auf die Hausaufgaben. Aber genau das denke ich, dass meine Stimmung zu Beginn des Tages ausschlaggebend dafür ist, wie schnell ich arbeiten kann. Somit muss diese mitanalysiert werden. Aber ich verliere dadurch jeden Bezug zum eigentlichen Problem und verstricke mich völlug in den Gedanken. Nachdem ich das gedacht habe, denke ich von vorne an alle Stunden und die Hausaufgaben, gehe dann weiter, stelle mir genau vor, wie ich heimfahre und zuhause endlich mit den Aufgaben beginnen kann. Ich stelle mir alles genau vor, wie ich mein Heft aufschlage, Farbe von Heft, Stift, Tisch, stelle mir auch die schon geschriebenen Einträge im Heft vor, versuche sie zu zitieren, stelle mir dann vor, was ich schreibe, formuliere es schon vor, stelle mir mein Schriftbild vor, auch meine Gefühle und Gesichtsausdrücke werden schon im Vorhinein ermittelt, aber ich scheitere an dieser genauen Vorstellung, woraufhin ich damit wieder von vorne anfange, wieder mit Heftaufschlagen, diesesmal stelle ich mir drum herum aber noch das Zimmer vor, das Wetter draußen, überlege ganz genau, wie dunkel der Himmel sein könnte, ob der Wind vielleicht weht oder nicht, bis ich halb zwischen Vorstellen-können und Scheitern der Vorstellung hängen bleibe und zur Vorstellung der nächsten Hausaufgabe übergehe. Dann überlege ich, was mich stören könnte, welch unvorhergesehenen Ereignisse mir Zeit stehlen könnten, ob ich zu müde sein könnte und dadurch langsamer als gedacht. Als ich gerade beruhigt bin, weil ich ausgerechnet habe, dass ich selbst im schlimmsten Fall bis 20 Uhr fertig bin mit den Hausaufgaben, wird mir wieder schlecht vor Angst, weil mir einfällt, dass ich etwas in meinen Überlegungen übersehen habe, für was ich auch noch Zeit einplanen muss. Daraufhin dreht sich mir alles im Kopf, ich kriege die zusätzlichen Termine nicht noch unter in mein Konzept. Heißt, ich muss wieder von vorne anfangen. Diesesmal noch viel weiter vorher. Ich beginne damit mir den heutigen Abend vorzustellen, weil meine Gefühle und Situation von heute wichtig für die Effizienz beim Arbeiten morgen sein könnte. Ich gehe den heutigen Abend detailgenau durch und dann kaue ich den ganzen morgigen Tag wie oben bereits beschrieben erneut durch, bis ich erneut beim Abend angekommen bin und höchstwahrscheinlich irgendwo wieder scheitere, mir das vorzustellen. Dann gehe ich dazu über, den heutigen Tag genau zu formulieren, als Vorlage für den morgigen. Irgendwann später komme ich wieder zum eigentlichen Problem zurück, überlege, wann der Bekannte anrufen könnte. Ich gehe alle Uhrzeiten durch und bei jeder fällt mir ein, warum es gerade dann ungünstig ist. Und dann gerate ich in Panik, weil ich nicht weiß, wann ich mich noch fertig machen sollte, wenn er mich treffen will. Letztendlich bete ich, dass er sich morgen gar nicht meldet, damit ich keine Probleme habe, obwohl ich mich doch eigentlich so nach ihm sehne. Also suche ich doch noch nach Möglichkeiten, meine Zeit besser einzuplanen. Dann will ich mit all den unsinnigen Gedanken aufhören, doch zu spät, die Angst sitzt schon zu tief und es folgt ein längerer gedanklicher Kampf darum, ob ich es schaffe, von den Gedanken loszukommen oder nicht, dabei halte ich mich auch an Rituale und vorgefertigte Sätze, die mich beruhigen sollen, aber das angstvolle Gefühl bleibt trotzdem.
Und so viele Gedanken, obwohl ich nicht einmal sicher weiß, ob er überhaupt anrufen wird oder ein Treffen wollen wird und die konkreten Aufgaben auch noch nicht kenne. Alles so umsonst, aber die Angst treibt mich einfach in die Gedanken hinein, anstatt dass ich einfach ruhig abwarten würde.
Ich kann das nicht ertragen, wenn ich vorher nichts sicheres weiß und nicht weiß, ob das alles überhaupt zu schaffen ist und ob ich die Kraft dazu habe.
Abstrakt ist eben die ganze Vorstellung, weil nichts davon klar ist und ich mir alle möglichen Abläufe nur zusammenreime. Ich will das, was morgen oder irgendwann sein wird, schon in der Vorstellung genau erleben, um sicher sein zu können, davor keine Angst haben zu müssen, denn so lange es unklar ist und ich es nicht kenne, macht es mir Angst. Aber ich kann mir das Zukünftige eben nicht vorstellen, wie es sein wird, weshalb ich auch nie Erleichterung mit den Gedanken finde. Ich habe nur Angst, es nicht zu schaffen, aber nichts kann mir diese nehmen und deshalb muss ich immer weiter denken und immer wieder dieselben Gedankengänge wiederholen in der Hoffnung, dass sich ein beruhigendes Gefühl einstellt. Aber in Wahrheit steigert das Denken die Angst nur, aber wenn ich nicht denke, werde ich auch wahnsinnig. Es kommt so oft vor, dass ich mir in Gedanken eine Tätigkeit länger vorgestellt habe als letztendlich die wirkliche Ausführung gedauert hat. Wenn ich die Ausführung überhaupt bewusst mitbekomme, da ich meistens in Gedanken dann schon wieder bei der Vorstellung der nächsten Tätigkeit bin.
Sorry, ein langes, wahrscheinlich nerviges Beispiel, aber so funktioniert das eben. Außerdem verdeutlicht es ein konkretes Beispiel hoffentlich am ehesten.
@ Brummbär:
Dass ich mich nicht schnell auf Änderungen einstellen kann, stimmt schon. Sobald ich von einer Abweichung des gewohnten oder gedachten Zeitplanes erfahre, beginnen die Gedanken sofort zu rasen und alles muss neu geplant werden, ich kann es nicht einfach hinnehmen wie ich es bei anderen sehe, die auf solche Änderungen nur mit einem Schulterzucken reagieren.
Andererseits habe ich weniger Zeit mir Gedanken zu machen je später ich von einer problematischen Änderung erfahre. Ich hasse es, schon Wochen vorher davon zu erfahren, weil ich dann wochenlang nicht von den Gedanken daran loskomme. Am besten schockt man mich mit Änderungen so kurzfristig, dass ich gar keine Gelegenheit bekomme, zu denken.
Bei den gewohnten Abfolgen habe ich eben mehr Sicherheit, dem gewachsen zu sein als bei Ungewohntem.
Und ich hasse es, wenn andere erst etwas ankündigen und es danach doch nicht so umsetzen, wie sie angekündigt hatten. Es hätte mir schon so oft so viel Angst erspart, wenn die Leute vorher nicht horrormäßige Ankündigungen gemacht hätten.
Danke für deine Antwort und schön, dass du meine Zwänge ein bisschen verstehst.
Wie nett, dass dein Therapeut sich da ganz auf dich einstellt, denn gerade in Arztpraxen und bei Therapeuten ist Unpünktlichkeit bei den Ärzten doch etwas kaum wegzudenkendes, weil so oft Patienten ihre Zeit überziehen. Also, Pünktlichkeit in dieser Hinsicht habe ich noch nie erlebt.
Wie gehst du denn mit diesen Zwangsgedanken im Alltag um?